Neues zum Schmunzeln


Paranoia


Im Februar 2000 war ich auf Kur in Wandlitz. In der Villa, in der ich wohnte, waren wir eine Gruppe Menschen, die sich vorzüglich verstanden.

Natürlich gab es, wie in jeder Familie auch, einen Störenfried. Bei uns war es der Egon.

Der hatte ein Organ, das, wenn er zu sprechen anfing, sogar weit weg, meinetwegen auch auf Pago-Pago die Hühner vor Schreck auseinander scheuchte. Ging man ins Bett, bevor Egon das tat, dröhnte seine Stimme durch alle Wände und löste im Gehirn Mordgedanken aus.

Dann war da noch der Georg, der nicht gerne in der Gruppe verweilte. Sich lieber in sein Auto setzte, um durch die Gegend zu streunen. Wenn er morgens zum Frühstück erschien, brach gewöhnlich eine Heiterkeit aus. Nicht weil er ein so lustiger Geselle war, sondern weil er mit seinen ungelenken Bewegungen eines zerstreuten Professors den Übermut seiner Leidensgenossen kitzelte. Er war nicht leicht zu durchschauen. Man konnte sich kaum ein Bild von ihm machen.

Überraschenderweise fragt er mich eines Sonntagmorgens, ob ich denn nicht Lust hätte, auf eine Autotour mit ihm an den Fehrbelliner See zu fahren. Obwohl ein Sonntag wahnsinnig langweilig sein konnte, sagte ich zuerst nein, dann vielleicht, konnte mich aber nicht so richtig für oder dagegen entscheiden.

Ich war damals schon sehr viele Jahre verheiratet, war eine ehrenwerte Frau ohne den leisesten Anspruch auf ein Abenteuer und hatte überhaupt keine Erfahrungen mit Männern. Also mit anderen Männern. Außerdem war Georg so unheimlich, dass ich mir dachte, wer weiß, was der Kerl im Sinn hat. So düster, wie der dreinblickt. Kann ja sein, dass er mich irgendwo in der Wildnis abschlachtet und im Wald verscharrt. Oder ich verschwinde auf Nimmerwiedersehen im eiskalten See.

Dann fragte er mich erneut beim Mittagstisch vor den anderen, ob ich mich entschlossen hätte, mitzufahren. Nun, da ich Zeugen hatte und alle wussten, wohin ich mich begebe, willigte ich mit gemischten Gefühlen ein.

Im Auto hatte ich ein nagendes Gefühl von Unsicherheit. Das wurde noch größer, als er die Wege auf und ab fuhr, weil er sich angeblich verfahren hatte. Von einer Landstraße ging es auf die nächste und dann doch wieder zurück. Endlich meinte er, den See gefunden zu haben.

Wir stiegen aus. Es ging eine Böschung hinunter durch ein Stück Wald. Ich schielte ständig nach herumliegenden Ästen, um im Falle eines Angriffs eine Waffe zu haben. Denn schon sein Aussehen war unheimlich. Der lange dunkle Mantel, die Wollmütze tief ins Gesicht gezogen und so eine Art Brotsack über der linken Schulter- das war alles nicht sehr vertrauenswürdig.

Ich heuchelte Interesse am Wald, um ihn von eventuellen bösen Gedanken fernzuhalten. Fragte ihn nach allen Bäumen und Sträuchern aus, ob es er sie denn kenne und welche der herumliegenden Früchten er welchem Baum zuordnen kann. Undsoweiter, undsoweiter.

Unten am Wasser stellte er etwas enttäuscht fest, dass wir sicherlich am falschen See sind. Der, den wir (eigentlich er) suchen, der muss doch viel größer sein.

Also machen wir kehrt. Die Böschung wieder hinauf, wieder rein ins kalte Auto, das wenig einladend war mit all den sperrigen Sachen, die überall herumlagen.

Wieder Straße rauf, Straße runter. Endlich schienen wir am Ziel zu sein. Er fuhr dicht an den See ran und parkte am nahen Ufer. Hinter uns ging es steil nach oben. Vor uns lag der See. Rechts ging der Weg scheinbar bis zu einer entfernten Siedlung, die an der gegenüberliegenden Seite des Sees lag. Links führte ein holpriger Weg in einen Wald hinein, der sich wohl weit um den riesigen See schlängelte.

Wir stiegen aus. Georg schloss das Auto ab, klemmte seinen Brotsack unter den Arm, schaute auf seine Uhr und sagte wie selbstverständlich: „Es ist jetzt 14:00 Uhr. Ich lauf mal ein Stück um den See und um 15:00 Uhr treffen wir uns hier wieder.“ Sprach’s und war verschwunden.

Ich stand wie vom Donner gerührt in dieser Einöde und wusste nicht, was ich anfangen sollte. Es war kalt, der Wind wehte mir bis ins Knochenmark. Nirgends ein Mensch, ein Haus.

Ich spazierte ängstlich den Weg entlang, der mich um den See zu dieser Siedlung bringen sollte. Nach ungefähr einer Viertelstunde hatte ich diese erreicht. Es war eine Art Wochenend- oder Sommersiedlung. Die Häuser schienen alle leer zu sein. Waren wohl nur im Sommer bewohnt. Alles war geisterhaft und ich bekam bei aller Kälte auch noch Gänsehaut.

Ich beneidete jenen Teil der Menschheit, der sich entschlossen hatte, heute im warmen Zuhause zu sitzen. Und konnte es nicht fassen, dass ich mich so leichtsinnig von diesem Abenteuer hab hinreißen lassen. So kenne ich mich überhaupt nicht.

Dann kehrte ich um und ging wieder zum Wagen zurück, mit der Hoffnung im Herzen, dass es Georg genauso kalt ums Herz ist wie mir und dass er früher zurückkommt. Denkste!

Statt Georg hechelte plötzlich ein Ungetüm von Hund aus den Büschen. Wie ein kleines schwarzes Kalb. Viel zu groß für einen Hund. Im ersten Augenblick wusste ich nicht, ist es ein irdisches Wesen oder spukt der leibhaftige Belzebub an mir vorbei in den See. Er machte einige Schritte durch das Wasser, kam ans Ufer, schüttelte sein pechschwarzes Fell und kam kläffend auf mich zugerannt. Mein ohnehin untergekühltes Blut erstarrte zu Eis. Überhaupt war ich zu einer einzigen Eisskulptur erstarrt und das alleinige Fünkchen in mir, dass noch warm war, hieß panische Angst.

Das Ungetüm überlegte es sich und verschwand hinter dem Auto. Ich konnte nicht erahnen, was es nun vorhatte. Wusste nicht, auf welcher Seite es wieder auftauchen wird, um mich in Stücke zu reißen. Ich zitterte wie Espenlaub vor Kälte, gepaart mit einer Panik, wie ich sie noch nie im Leben verspürt hatte.

Als das Monster dann hinter dem Auto hervorschnellte, dachte ich o.k. das ist dein Ende. Doch der Riesenköter blieb stehen und kläffte mich nur an. Er hielt mich eine ganze Weile in Schach, indem er mal verschwand, mal wieder hervorschnellte, bis er sich endlich entschloss, mich doof anzuschauen, als wollte er sagen, möchte gerne wissen, ob du die Hose schon voll hast.
Und dann verschwand er, wie er gekommen war, dicht an mir vorbei, im Wald. Einem Herzinfarkt nahe, hörte ich ihn noch bellen. Zuerst noch laut, dann in Abständen immer leiser, bis ich hoffen konnte, dass er jetzt weit genug weg war. Ich nahm zitternd einen langen Ast und einen Stein, der herumlag und stellte mich mit dem Rücken zum Wagen. Noch immer mit eisgekühltem Schrecken in den Knochen, jammerte ich los: „Georg, wo bist du?“ Aber Georg war wohl noch sehr weit weg. Und ich wünschte mir, ich wäre in unserer Villa geblieben, Egon würde eine lange Geschichte erzählen und ich würde seine Stimme wie Engelsmusik empfinden.

Georg kam 10 nach 15 leutselig angetrabt. Nasse Schuhe, langer dunkler Mantel, Wollmütze und Brotsack schienen mir diesmal so vertraut und willkommen, dass ich instinktiv meine durchfrorenen Arme nach ihm ausstrecken konnte. „Da bist du ja endlich!“

„Schön war’s“, sagte er fröhlich. „Ist es dir kalt?“

Ich lächelte nur gequält und antwortete nicht. Mein starrer Kiefer versagte den Dienst.

Er schloss das Auto auf, hielt mir galant die Tür auf, fischte unter den rätselhaften Dingen am hinteren Sitz eine Thermosflasche hervor und schenkte mir eine undefinierbare Brühe ein, die er als Tee bezeichnete. Die war noch scheußlicher als die Kälte, aber warm. Ich schaffte leider nicht alles, doch Georg trank aufopferungsvoll den Rest aus.

Dann fuhren wir los und, oh, Gott! wieder in eine falsche Richtung. Wir mussten nach rechts. Nein, doch besser nach links. Bis er endlich nach der Karte griff. Nein! Nicht doch! Er suchte eine andere Stelle zum Landen am See. Als er dann hielt, weigerte ich mich, aus dem Auto zu steigen.

„Das wird aber kalt werden!“ mahnte er lächelnd. Drehte das Auto so, dass ich auch mal das andere Ende des 11 km langen Sees zu sehen bekam und stieg aus. Langer dunkler Mantel, Wollmütze, Brotsack – er winkte mir freundlich zu und rief: „Ich komme in einer halben Stunde wieder!“

Ein irrsinniger Lachkrampf schüttelte mich. Links und rechts gingen Leute am Auto vorbei, aber ich lachte alleine wie von Sinnen, ohne mich um die verwunderten Blicke zu kümmern.

Als Georg nach einer halben Stunde durch Wind und Wetter wiederkam, konnte ich mich noch immer kaum beherrschen. Ich weiß nicht, war es Erleichterung, oder erkannte ich die Komik der Situation erst jetzt. Doch es war vollbracht.

Ich hatte gerade das verrückteste Abenteuer meines Lebens erlebt.
Und jetzt weiß ich, es gibt ein Schicksal, das du annimst, obwohl du es nicht annehmen willst. Da ist eine Macht... 


© Lisa Nicolis
                               **********
Ich habe da ein Bild vor mir.

Ich hatte tagelang eine Fliege in der Wohnung, die mich tierisch nervte. Weil ich drei Tage weg war, hatte ich sie längst vergessen.
Die Fliege war bestimmt eine Fliegin und hatte einen Flieger angelockt. Der hatte sie heute zur Mittagszeit in der Luft beflogen, oder wie man das bei fliegenden Fliegen nennt. Du weißt schon…
Aber ich wusste von dem Tandemflug nix, bis sie beide, so beflogen, in meinen Suppenteller plumpsten.
Nun hatte ich in meinem ganzen Leben genügend Fliegen in der Suppe erlebt, aber noch nie ist dicht vor mir eine ganze Formation in meinen Teller gepurzelt.  Ich hatte mich so erschrocken, dass mir das Herz fast ausgesetzt hatte, denn das Gewusel war für den Moment gar nicht als Fliegen zu erkennen und ich wusste nicht, was das schwarze Geflattere in der Suppe ist.
Bis ich es endlich begriff, was da passiert, flog der Flieger schon weg, glücklich und zufrieden. Doch meine arme Fliegin war inzwischen, geschändet und ausgenützt, schmählich ertrunken.
Oder es war vielleicht der glücklichste Moment in ihren armseligen Fliegenleben gewesen, bevor mir der Appetit auf meine köstliche Suppe vergangen war.
Und wenn es Selbstmord war? Kann aber auch nur eine Bruchlandung gewesen sein, wegen eines Pilotenfehlers. Kein Wunder bei dieser Ablenkung. Man wird es nie erfahren.
Der Kerl war, statt sie aus der Brühe zu ziehen, einfach abgehauen. Typisch Mann.
Also ich habe heute keinen glücklichen Tag mehr. Mich befliegen ständig komische Gedanken.


© Lisa Nicolis
**********

Lieber Google 


War das jetzt korrekt mit lieber Google?
Du bist doch eine Maschine. Eine Suchmaschine. Eine sie. Hätte ich liebe Google schreiben sollen?
Ich bin etwas verwirrt.

Du scheinst aber auch recht verwirrt zu sein. Denn, als ich heute aus Jux und Langeweile meine Gedichte in verschiedene Sprachen und dann aus der Übersetzung heraus wieder ins Deutsche übersetzen ließ, stellte ich fest, du knabberst noch immer aus den Resten deiner Schultüte, oder du bist ein Möchtegerntranslator,  oder einfach nur stockdumm.

Hier meine Argumentation: 

Exempel 1
mein deutsch:
Deck mich gerne mit Träumen zu,
spinn sie aus goldenen Zwirnen,
glitzernden Fäden aus Goldgestirnen
-drückt auch der irdische Schuh.
thailändisch übersetzt du:
ครอบคลุมฉันด้วยความรักที่จะฝัน
SPINN พวกเขาบิดทอง
หัวข้อระยิบระยับของร่างกายสวรรค์ทอง
กดและรองเท้าใต้ดิน

googlisch-deutsch heißt es bei dir:
Cover me mit Liebe zu träumen.
SPINN ihre goldenen Twist
Thema glitzerndes Gold der Himmelskörper
Untergrundpresse und Schuhe.

Exempel 2
mein deutsch:

Der gute Rat zuweilen,
der freundlichst
aus dem Helfer bricht,
liegt ihm wie angegossen,
passt nur zu
meinen Maßen nicht.

urdu (was das auch immer sein mag)
کبھی کبھی یہ اچھا مشورہ،
براہ مہربانی
مددگار کے باہر ٹوٹ جاتا ہے،
ایک دستانے کی طرح اس کے مطابق،
سے میل کھاتا ہے صرف
میرے اعتدال.

googlisch deutsch
Manchmal ist es gut beraten,
Bitte
Wizard ausbricht,
Nach ihm wie ein Handschuh,
Spiele nur
Mäßig mich.

Siehste, Google,
du bringst es eben nicht. Ich gebe zu, meine Texte in deutsch sind auch nicht von bester Qualität. Also sind wir quitt. Deswegen lasse ich dir noch einmal die Chance, einen stinknormalen Satz zu übersetzen, sagen wir mal in Tagalog. Ja diese Sprache spricht man auch irgendwo auf der Welt. Übersetze ihn mal und dann übersetzen wir ihn von Tagalog in Deutsch, alias googlisch. Also, schreibe ich:
„Ich, Google, werde mein Bestes tun, um einen stinknormalen Satz tagalogisch zu präsentieren und dann in meine, der googlischen Sprache.“
Hier die tagalogische Übersetzung:
"Ko na ang Google ay gawin ang aking pinakamahusay na ipakita ng mga perpektong ordinaryong tagalogisch pangungusap lalo sa minahan, ang wikang googlischen."
Und hier dein googlisches Deutsch:
"Ich, Google werde mein Bestes tun, um das perfekte gewöhnlichen tagalogisch Satz besonders mir, die Sprache googlischen zu zeigen."
Na? Merkst du, wie bescheuert du klingst?
Übrigens. Auch wenn du dich nie so richtig als weibliches Etwas gefühlt hast, ich habe nichts gegen Transsexuelle, Frau Translatorin oder Herr Translator, wenn’s dir damit besser geht.
Jetzt sollst du nur noch einen einfachen Satz übersetzen und zwar an meine Internetbesucher aus Deutschland, Holland, Belgien, Frankreich, England, Italien, Indonesien, China, Californien, Argentinien, Spanien, Tschechien, Polen, Russland, Österreich, Ungarn, usw. gerichtet. Sag ihnen:

Herzliche Grüße an dich und alles Gute!

-亲切的问候给你,事事如意(Liebe Chinesen, es tut mir leid!)

-Kindest regards to you and all the best!

-Cordialement à vous et à tout le meilleur!

-Kindest regards kepada Anda dan semua yang terbaik!

-あなたとすべての最高に親切よろしく!

-Vriendelijke groeten aan u en al het beste!
-Z wyrazami szacunku dla Ciebie i wszystkiego najlepszego!
-Cele mai bune urări pentru tine și toate cele bune!
-С уважением к Вам и всего самого наилучшего!
-Indicar que a ti y todo lo mejor!
-Nejlaskavější jde k vám a vše nejlepší!
-Legkedvesebb Üdvözlettel neked, és minden jót!
-Liên quan tốt bụng nhất cho bạn và tất cả các tốt nhất!
-Auguri a voi e tutto el meglio!
Und jetzt sei brav und grüße alle auf googlisch-deutsch.

Bericht an Sie und alles Gute!
************

Quod erat demonstrandum. Google ist doof!


Lis@ Nicolis

**********
Requiem auf einen Apfel

Neulich hat mir eine Bekannte, die Vegetarierin ist, gesagt, wenn sie früher einen Hähnchenschenkel gegessen hatte, hatte sie sich immer gesagt: du hast jetzt ein Leichenteil in der Hand und im Mund. Das sagte sie sich so lange, bis sie Fleisch nicht mehr sehen, geschweige denn essen konnte.

Obwohl ich noch immer zur Gattung der Fleischfresser gehöre, habe ich beim Verzehr desselben stets einen Anflug von Schaudern in mir. Weil mir besagte Worte wie überreife Stinkfrüchte in den Teller fallen, wenn ich mal wieder der Fleischeslust verfalle.

Dieses widersprüchliche philosophische Gedankenkarussel erleide ich, nun auch immer häufiger, wenn ich mich nicht nur dem Hähnchenschenkel nähere, sondern auch einem normalen Apfel.
Ich meine, Äpfel haben einen ähnlichen Werdegang wie ein Mensch. Sie entstehen durch Befruchtung, wachsen, reifen und schließlich landen sie in der Kiste. Dann ist es doch normal, dass ich mich im Nachhinein mit dem letzten verzehrten Apfel solidarisiere und mich schuldig fühle, dass ich ihm das angetan habe.

Äpfel kann ich nur essen, wenn ich sie schäle, sonst kriege ich von den Schalen, die sich zwischen meine Zähne verirren, Gänsehaut. Oder, um vegetarisch zu bleiben, ich kriege Orangenhaut.

Ich stelle mir vor, der Apfel leidet, wenn man ihn schält, (wie ich leiden würde, wenn man mich häuten würde). Also bitte ich ihn jetzt um Entschuldigung, dass ich ihn nicht unter Vollnarkose die Schale entfernt habe.

Zur Zeit habe ich ein schlechtes Gewissen, wenn ich Möhren in Scheiben schneide, Bohnen in heißes Wasser schmeiße, Gurken schäle oder Tomaten entkerne.

Ich sehe grade eine Werbung von MonCherie. Oh, war das früher ein Genuss! Und jetzt?

Tränen könnte ich vergießen, wenn ich dran denke, wie diese armen Piemontkirschen zwangsalkoholisiert in einen dunklen Kerker, bei lebendigem Leib, eingeschweißt wurden. Und wie wir Allesfresser sie dann vertilgen, nachdem wir Hähnchenschenkel mit Gemüse gespeist haben.

Ich hol jetzt alles Gemüse, setze mich mit ihm an einen Tisch und versuche es tiefenpsychologisch auf sein Schicksal vorzubereiten. Denn leider kann ich mich an diesen hawaiianischen Küstensand mit Vitaminzusatz noch immer nicht gewöhnen.

© Lisa Nicolis

************
Ahnenforschung   
(nicht vergessen, alles Selbstironie!)

Ich weiß, ich habe mich seit Tagen nicht gemeldet und es gibt da draußen Leute, die sich den Kopf zerbrechen, ist sie krank, ist sie schon dahingeschieden oder steht sie noch in der Warteschlange.

Nee, Kinder, ich saß in der Warteschlange.

Manche wissen, dass der PC Schuld daran ist, dass mein Blutdruck hin und wieder verrückt spielt. Hat er auch diesmal getan, aber nicht weil er sich das vorgenommen hatte, sondern, weil ich es mir vorgenommen hatte, auch wenn es mich umbringt, zu bluthochdrucken. Denn vom PC wollte und konnte ich tagelang nicht weg. Eine Art russisches Roulett.

Ich hatte den Vorsatz, Ahnenforschung zu betreiben. Etwas, das ich schon längst wollte, aber nie wusste, wie ich es beginnen soll. Da ich in Rumänien geboren wurde, hätte ich dahinfahren müssen, um alle Archive nach Kirchenbücher zu durchstöbern, wozu ich weder Geld ausgeben möchte, noch mich solchen Strapazen aussetzen kann.
Also setzte ich mich vor Tagen an den PC und begann, ich weiß selbst nicht mehr wie, mit dem Wunsch, meine Ahnen irgendwie ausfindig zu machen.

Vor etwa 20 Jahren, kurz nach meiner Ankunft in Deutschland, bekam ich einen Brief aus Amerika. Ich öffnete ihn und fiel fast vom Stuhl. Mir blickte von einem Foto, zwanzig Jahre jünger und putzmunter, mein toter Vater ins Gesicht.

Es war, wie ich dann lesen durfte, der Cousin meines Vaters, der zwar nicht explizit nach mir Sehnsucht hatte, sondern, infolge seiner Ahnenforschung, auf mich gestoßen war, um so von dem Rest der Familie in Europa Daten zu erfahren. Bob glich meinem Vater mehr als meine beiden Brüder. Er und mein Vater hätten eineiige Zwillinge sein können, so groß war die Ähnlichkeit.

Mit Bob korrespondierte ich noch jahrelang, bis es keine Nachrichten mehr gab.Wahr-scheinlich war er verstorben. Tatsächlich fand ich dann später im Internet seine Todes-anzeige. Seine Kinder hatten damals wohl keine Lust irgendjemanden aus der Liste der Verwandten, die zu hunderten aufgelistet waren, zu schreiben. 

Da ich damals keinen Computer besaß, konnte Bob mir auch nicht viel mitteilen und ich hatte, als eben in Deutschland eingewanderte Aussiedlerin, bei Gott, mehr mit den deutschen Behörden zu tun, als mir lieb war und da war ich mit allem anderen mehr als mit Ahnen-forschung beschäftigt.

Der Leidenschaft von Bob hatte ich es wohl zu verdanken, dass ich jetzt  relativ leicht, immerhin in drei Tagen, bis zu meinem Vorfahr Johann kam, der 1742 in Laubenstein, irgendwo in Süddeutschland, geboren wurde. Zur Zeit Maria Theresias wanderte er dann ins damals österreich- ungarische (seit 1918 rumänische) Banat aus. Wo Laubenstein lag, weiß ich nicht. Wahrscheinlich wurde es umbenannt, denn weder im Internet noch auf irgendeiner Landkarte ist es zu finden.

Ich war riesig stolz, lückenlos alle Vorfahren aus einer amerikanischen Liste herausholen zu können und dann hatte ich sie alle da. Zehn Generationen von Johanns, Michaels, Heinrichs, Karls, Elisabeths und Marias.
Herrjemineeee! Wenn in einer Generation (meist 6-7 Kinder in jeder Familie) einer „Joooohann“ gerufen hatte, ist sicherlich das halbe Dorf zusammengelaufen. Bei „Mariaaaaa“ ist sogar die heilige Maria aufgeschreckt.
Nun hatte ich zehn Generationen fein aufgelistet: Name der Vorfahren, Geburtsdatum und Geburtsort, Sterbedatum und Sterbeort; alle Kinder, deren Geburtsdatum und Geburtsort, Sterbedatum und Sterbeort, Ehegatten oder Ehefrauen mit allen Daten.

Als ich dachte, ich sei endlich am Ziel, merkte ich, ich hatte einen Johann aus dem falschen Familienzweig verfolgt und ich musste neu beginnen. Mein Blutdruck musste jeden Tag feststellen, dass er keine Chance hat, zur Ruhe zu kommen, denn mal machte mich ein falscher Johann kirre, mal war es der Heinrich. Der Schlingel hatte zwei Frauen und ich brauchte sehr, sehr lange, um heraus-zufinden, dass die erste Ehefrau wohl starb und mit der zweiten schaffte er nur fünf Kinder zu zeugen.

Völlig am Ende, hatte ich am dritten Tag einen sauberen, lückenlosen Stammbaum, zumindest von den Vorfahren des Vaters.

Nun stand ich da und fragte mich, wozu das gut ist, all die Namen und Daten zu besitzen. Zwar kannte ich meinen Onkel Johann, den alle Jani nannten und meinen Cousin, den alle Hansi nannten, doch die Johanns der letzten 300 Jahre auf dem Papier, die scheinen nur Fiktionen zu sein. Es sind Namen, weiter nichts. Keine Lebensgeschichten, einfach nichts als Daten. 

Ein paar persönlichere Daten allerdings in den Schiffslisten. Die Großeltern und drei Brüder des Großvaters sind 1907 nach Amerika ausgewandert. Mein Großvater musste zu Beginn des 1. Weltkrieges nach Europa zurückkehren, weil der Opa österreich- ungarischer Staatsangehöriger war und einberufen wurde. Recht doof gehandelt, denn er überlebte den Krieg schwer krank und starb kurz darauf. Und ich musste 50 Jahre stalinistische Ideologien verdauen, statt mit Hand aufs Herz den Rest meines Lebens innbrüstig God Bless Amerika zu singen.

Wozu haben all die Johanns gelebt? Nur um sich abzurackern, damit ich heute hier sitzen kann, um Blödsinn zu schreiben? Sind wir auf dieser Welt, nur um uns fortzupflanzen? Wer brauch uns Menschen, den Löwen, den Affen, die Ringelnatter, das Pantoffeltierchen, die Nacktschnecke und all das Ungeziefer (entschuldige liebe Wanze und lieber Floh!)?
Ist da wer, der uns unbedingt zusehen will beim leben und sterben?

Erich von Däniken hatte mal behauptet, die Menschheit wird von Außerirdischen gezüchtet, um denen, weiß der Kuckuck zu was, zu dienen. Lebendig oder tot, weiß ich nicht, auch der Erich nicht.

Ihr müsst nicht erschrecken. Gott kennt mich schon etwas länger und der schert sich nicht um mein Geschwätz. Er weiß, abends komme ich angekrochen und danke ihm, dass er mir noch einen Tag geschenkt hat, besonders, wenn mein Blutdruck auf 200 Grad, oder wie die Maßeinheit heißen mag, festsitzt.

Aber interessieren würde es mich brennend, was all die Johanns und Lisas auf dieser Welt zu schaffen haben.

Mein Fazit: Ahnenforschung ist Blödsinn. Wichtig sind nur die Menschen, deren Gesicht wir kennen, die uns ein Lächeln geschenkt haben, deren Augen uns angeleuchtet und anleuchten, die  wissen wollten, wie es uns geht und die sich Sorgen machten und machen, warum es uns nicht gut ging und geht. Von den restlichen Johanns habe ich eine Menge Gene mitbekommen, von denen ich einige lieber nicht hätte. Wenn ich wüsste, welcher Johann das war, der sie mir bescherte… naja, was könnte ich dem schon antun? Diesem… diesem… Ururur-ururugroßvater!

Vielleicht hieß er ja Adam…

© Lisa Nicolis

Die Ahnnungslosenforschung

Seit ich diese Ahnungslosenforschung hinter mir habe, also die Forschung nach den Ahnen, von denen man nichts ahnt, hab ich endlich einen klaren Kopp.

Gell, da geht man hin und kämpft sich durch –zig Internetseiten, um zu erfahren, was alle philosophisch angehauchten höheren Wesen so pathetisch fragen: von wo komme ich her? wo gehe ich hin? Und das fragt man ja nicht, weil diese Neugierde lange anhält. Nee, man fragt das nur gelegentlich in Gegenwart von irgendwelchen Personen, weil man angeben will, wie tiefgründig man empfinden kann und dass man ja ein beachtliches Niveau an Intelligenz besitzt. Ein peloponesischer Ziegenhirt hatte solche Überlegungen sicherlich nie.

Nun haben meine Forschungen Folgendes ergeben: wenn du es verdrängst, dass du daher kommst, woher alle kommen, also aus der Entschlos-senheit deiner Eltern, nicht ins Kino zu gehen, weil es zu kalt, zu warm oder kein Geld da war, dann musst du es nochmals erfragen, falls du es wieder wissen willst.

Die Ahnen hatten keine Kinos, aber zum Glück hatten die Familienangehörigen auch kein Internet. Also bauten diese Netzwerke aller Arten außerhalb der Stuben auf. Und wenn außer zwei Leuten, alle Angehörigen damit beschäftigt waren, in einem der Netzwerke zu surfen, z.B. den Stall auszumisten und somit eine Stube zielsicher war, da konnte der Ahne und die Ahnin bestimmen, woher der Nachkommen kommen sollte.

Und wohin wir gehen, das weiß auch jeder. Wird aber auch verdrängt. Es reicht, auf den Friedhof zu gehen, sich dahin zu stellen, wo ein frischgeschaufeltes Grab klafft und zu warten, bis sich eine dunkelbekleidete Menschenmenge ansammelt. Mit ihnen kommt auch ein Mann mit einer langen schwarzen Kutte, Seinesgleichen nennen sie Talar, und beginnt dich aufzuklären. Du kommst dahin, wo all deine Ahnen verstauben. So, jetzt weißt du es!
Wozu dieses blödsinnige Fragen immer wieder: woher komme ich, wohin gehe ich? 

Ist es nicht großartig einfach zu sein und dieses Sein fraglos auszukosten?


© nochmals ich